Deutsche Piloten sind die
besseren Russen. In der MiG-29 haben sie alle
besiegt: Amis, Engländer, Franzosen. Ein Nachruf auf
den legendären Killerjet
onald
Triegel späht konzentriert durch die Frontscheibe ins
tiefe Blau. Wo ist der Gegner? Da links in Augenhöhe –
ein Punkt wie ein Fliegendreck. Aber Fliegendreck
bewegt sich nicht, Fliegendreck wächst nicht.
Triegel
bestätigt Sichtkontakt, als der Amerikaner in der
F/A-18 Super Hornet fast schon über ihn hinweggejault
ist. Den Kopf nach hinten gerissen, zieht Triegel sein
Flugzeug in einer scharfen Wende nach links. 1982 trat
er in die Nationale Volksarmee der DDR ein, um
Jagdflieger zu werden. Seit 20 Jahren ist er in
russischen Überschall-Fluggeräten unterwegs.
Der
Amerikaner versucht, enger zu kurven, damit Triegel
ihn nicht ins Visier bekommt. Doch der zieht in einer
steilen Kurve mit maximalem Schub hoch und lässt sich
von oben in Schussposition fallen. Adios, amigo. Jetzt
könnte Triegel ihn abschießen. Der Amerikaner hat
verloren.
Es
ist nur ein Spiel. Die Kampfsimulation heißt BFM –
Basic Fighter Manœuvering. Ort des Geschehens: ein
militärischer Luftraum über dem Golf von Mexiko. Die
amerikanische Air National Guard hat zum großen
Showdown auf die Marinefliegerbasis Key West in
Florida geladen. Auch die legendären Aggressor
Squadrons sind zur Luftkampfübung gekommen:
US-Einheiten, die östliche Kampftaktiken simulieren.
Und die Instruktoren von Top Gun sind dabei, jener
Waffenschule der US-Marinepiloten, der im
gleichnamigen Film mit Tom Cruise ein Denkmal gesetzt
wurde. Hier fliegt die Elite des Flieger-Universums.
Sie alle treten gegen Deutsche an.
Wie ein BMW mit 11.040 PS: eine MiG-29 wenige
Sekunden vor dem Start beim Jagdgeschwader in Laage
bei Rostock. Zwei Triebwerke mit einem
Nachbrennerschub von 16.600 Kilopond bewegen ein
Gewicht von 15 Tonnen (o.). Major Ron Triegel und
die „Schlem“-Optik: Mit ihr kann er die Waffen per
Blick bedienen (m.). Streicheln vor dem Start:
In seinem Kampfjet hat Major Ron Triegel alle Gegner
besiegt (u.) |
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Auf dem Rollfeld von Key West
stehen sowjetische MiG-29 des Jagdgeschwaders 73
aus dem mecklenburgischen Laage. Seit 14 Jahren
gehören die MiGs der Bundesluftwaffe. Im Juli
werden die letzten Maschinen an Polen übergeben,
um dem Eurofighter Platz zu machen. Die MiG-29 und
ihre Piloten haben Geschichte geschrieben. Als
perfekte Feinde für unsere Freunde, als
Übungsgegner für die Nato-Partner. Überall in der
westlichen Hemisphäre waren sie zu Gast, weil man
Streit mit ihnen suchte.
Rückblende: Oktober 1990. Die
ehemalige DDR wird abgerüstet. Nur auf einem
NVA-Fliegerhorst im tiefsten Osten unter-suchen
westdeutsche Experten ein Flugobjekt, von dem sie
bisher allenfalls spärliche
Geheimdienstinformationen haben. Nato-Code:
Fulcrum. Sowjetische Herstellerbezeichnung:
MiG-29. Das Flugzeug entpuppt sich als derart
wirksame Waffe, dass die Bundeswehr das gesamte
DDR-Jagdgeschwader „Wladimir Komarow“ mit Personal
und 24 Maschinen übernimmt.
Die MiG ist ein Monstrum. Zwei
Triebwerke mit einem Nachbrennerschub von 16.600
Kilopond bewegen ein Gewicht von 15 Tonnen: Das
entspräche einem BMW 320 mit 11.040 PS. Die MiG
kann vom Start weg senkrecht mit
Schallgeschwindigkeit steigen und erreicht im
Horizontalflug Mach 2,3, bleibt aber selbst unter
200 km/h noch voll einsatzfähig – geradezu
lebenswichtig im Nahluftkampf, in dem siegt, wer
enger kurven, schneller klettern, besser
beschleunigen oder verzögern kann.
Und sie ist ein tückischer Killer.
Auf ihrem Instrumentenbrett befindet sich ein
Drehschalter zur Wahl der Waffensensorik. Wie in
allen modernen Jägern kann der Pilot damit
zwischen mehreren Radareinstellungen wählen. Dreht
der Pilot den Schalter ganz nach rechts, so rastet
er dort ein, wo das russische Wort „Schlem“ für
„Helm“ geschrieben steht.
Was im „Schlem“-Modus geschieht,
lässt Nato-Piloten noch immer schaudern. Er
aktiviert ein Zielokular im Pilotenhelm: Von nun
an tötet der Blick des Flugzeugführers. Jede
Bewegung des Kopfes geht an den Waffenrechner, der
per Sprachcomputer das Feuer freigibt. Dann wird
mit Hilfe des Helmvisiers eine Luftkampfrakete
verschossen, die mit mehr als doppelter
Schallgeschwindigkeit ihr Ziel ansteuert und dabei
Richtungsänderungen bis zum 45fachen der
Erdbeschleunigung ausführt. Entkommen:
ausgeschlossen.
Ein Teil der MiG-Cockpits ist von
früheren Phantom-Piloten besetzt, die mindestens
500 Jet-Flugstunden vorweisen müssen. „Ich hatte
schon Silberhochzeit mit meiner Lebensgefährtin,
der Phantom: 25 Jahre. Dann sollte ich mir diese
russische Geliebte zulegen. Was die mir alles
zeigte, hätte für die Phantom Totalschaden
bedeutet“, sagt Geschwaderchef Pit Hauser. Die
Deutschen sind mit dem sowjetischen Mordgerät als
Sparringspartner heiß umworben: Die Fulcrum fliegt
auch auf Kuba, in Syrien, Iran und Nordkorea. Wer
damit rechnen muss, irgendwo auf einer Achse des
Bösen der MiG-29 zu begegnen, will wissen, worauf
er sich einlässt. |
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1500 Flugstunden und mehr – die besten
MiG-Piloten kommen aus Deutschland. Der letzte Flug
der deutschen MiG-Staffel steht bevor. Polen bekommt
die Jäger geschenkt |
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So führt das Geschwader meist Krieg
gegen die westliche Welt. „In unseren F-16 packen
wir die MiG nur mit eisernen Nerven und Speed von
mindestens 325 Knoten. Darunter wird es
brandgefährlich, und man muss höllisch aufpassen,
dass man keinen Schlem-Shot einfängt“, sagt Gary
West von der US Air Force im italienischen Aviano.
Kommandeur Tom Hahn hat
mittlerweile alle in der Zieloptik gehabt: vom
Tornado – in MiG-Kreisen als „Toni“ oder „T-Bird“
eine beliebte Vorspeise – bis hin zur F/A-18 Super
Hornet. Die sei ein ähnlich guter Kurvenkämpfer
wie die MiG, verfüge aber nicht über deren
brachiales Schub-Gewicht-Verhältnis. „Irgendwann
muss sie mit der Nase runter, und dann hast du
sie.“
Doch die Zeiten werden härter:
Westliche Air Forces haben ihre Jets mit
selbstständig zielverfolgenden, weit reichenden
Luft-Luft-Raketen aufgerüstet, um Angreifer wie
die MiG-29 auf Distanz zu halten. „Wenn ein Gegner
mit dieser modernen Bewaffnung alles richtig
macht, sind wir schon tot, bevor wir ihn überhaupt
sehen“, sagt Tom Hahn. „Aber wenn die nicht gut
drauf sind, ziehen wir sie verdammt schnell in
einen engen Kampf. Und dann hämmert’s richtig.“
Ein britischer Fighter-Pilot, der dieses
zweifelhafte Vergnügen hatte, fühlte sich dabei,
„als hätte mir jemand ein paar rohe Steaks in die
Hände gedrückt und mich mit einem Rudel Pitbulls
in eine Telefonzelle gesperrt“.
In Key West nahmen die
MiG-29-Piloten Abschied von der internationalen
Luftkampfbühne. Weil ihre MiGs nicht im Flug
betankt werden können, kamen sie nicht nonstop,
sondern über Schottland, Island, Grönland und
Labrador. „Schon die Überführung war ein
Höhepunkt“, sagt Oberst Pit Hauser. „Wir wurden ja
auf zivilen Frequenzen durch den US-Luftraum
dirigiert, und jeder konnte hören, welcher
Flugzeugtyp da flog. Da gab es Piloten mit
Air-Force-Vergangenheit, die Umwege geflogen sind,
nur um endlich mal das leibhaftige Böse aus der
Nähe zu sehen.“
Über dem Golf von Mexiko hatten die
MiG-Gegner einen schweren Stand. „Ich bin in aller
Regel happy nach Hause geflogen“, sagt Ron
Triegel. Und die Piloten von Top Gun? „Immer happy“,
sagt Triegel. „War ein schönes Gefühl, so als
Former East German in einer roten MiG gegen die
Amis über dem Golf.“ Was Triegel sich verkneift,
kann man von Commander Nicholas Mongillo, dem
Top-Gun-Einsatzoffizier, im Klartext hören: „Ein
Deutscher in einer MiG-29: Das ist unser
Worst-Case-Szenario. Da fliegen wir gegen eine
Bedrohung, wie sie hoffentlich nie im Ernstfall
vorkommt.“
Kein Wunder: Eine ganze Reihe der
Piloten kommt auf mehr als 1500 MiG-Flugstunden,
die meisten davon in simulierten Luftkämpfen – so
viel Erfahrung gibt es selbst im Mutterland der
Fulcrum nicht. „Aber wir sind froh um jeden
Nato-Piloten, den wir nicht mehr schlagen können“,
sagt Tom Hahn. „Von dem wissen wir, dass er
überleben kann, wenn es ernst wird.“
Kurt Braatz |
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