Gäste willkommen – in der Luft und am Boden
Unter das Motto “Mitflieger” hatten die ehemaligen deutschen MiG-29-Piloten die 8. Reunion der FULCRUM-Staffel gestellt und eine Auswahl derjenigen eingeladen, die das Glück hatten, in einem der vier MiG-29-Doppelsitzer einen oder sogar mehrere “Rides” zu erhaschen. Die FULCRUM war während ihrer gesamten Nutzungsdauer, besonders aber in den ersten Jahren ihrer Dienstzeit unter der schwarz-rot-goldenen Flagge, ein Exot und ein Mitflug entsprechend begehrt – nicht nur bei militärischen und zivilen VIPs oder Journalisten, sondern auch bei “Line-Pilots” aus vielen NATO- und neutralen Staaten, die sich bei gemeinsamen Luftkampf-Übungen aus dem hinteren Cockpit heraus ihr eigenes Bild von der Leistungsfähigkeit des russischen Jägers machen konnten. “Das wiederum führte dazu, dass wir MiG-Piloten auf unseren Deployments oder bei den zahlreichen Gaststaffeln, die nach Laage kamen, im Tausch Mitflüge auf allen möglichen Flugzeugtypen bekamen”, erinnert sich Oberstleutnant a.D. Peter Steiniger, einer der “Einsatzstabsoffiziere” der Traditionsgemeinschaft und Hauptorganisator der Reunion im Radisson-SAS-Hotel in Rostock. Steiniger selbst vermochte dadurch Flugzeit in, wie er sagt, “allen damals im Einsatz stehenden US-Mustern mit einem ‘F’ in der Bezeichnung” zu sammeln.
In den 16 Jahren Dienstzeit der MiG-29 in Deutschland gab es ungefähr 300 Gäste auf dem hinteren Schleudersitz, rund 175 Flugzeugführer und etwa 125 “non-rated” Mitflieger, darunter Politiker, hohe Militärs wie den damaligen Generalinspekteur der Bundeswehr, General Klaus Naumann, oder Top-Manager der Luftfahrtindustrie wie Hartmut Mehdorn. Mit mehr als 160 Flugstunden insgesamt ist dieser Kreis in der Luftwaffen-Statistik vermerkt, wobei ein einzelner, besonders fleißiger Mitflieger allein acht Prozent dieser Zeit für sich verbuchen konnte (plus zwei Fotoflügen zu DDR-Zeiten). Der Betroffene fühlt sich übrigens noch heute der “MiG-Community” stark verbunden und berichtet regelmäßig in Wort und Bild über ihre Treffen … Aus den Reihen der VIPs hatten sich unter anderem Berndt Seite – von 1992 bis 1998 CDU-Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern – mit seiner Frau, SPD-Staatssekretär a.D. Tilo Braune und Laages früherer Bürgermeister Dr. Uwe Heinze eingefunden. Mit ihnen sowie 31 von 74 regulären Staffel-Mitgliedern und vielen Ehefrauen war der Ostseesaal des Hotels auch 2010 wieder gut gefüllt.
“Zwar ist auch über den Wolken die Freiheit nicht grenzenlos, aber unsere Mitflieger haben bestimmt viel Spaß gehabt und ihre Piloten auch”, sagte Generalleutnant a.D. Jürgen Höche zur Begrüßung und wünschte den Anwesenden einen schönen Abend “unter den Wolken”. Der “Staffelkapitän” der Traditionsgemeinschaft musste bedauernd mitteilen, dass der Plan, die 10. Reunion 2012 in den USA zu feiern, auf unvorhergesehene Schwierigkeiten stoße: “Als Ersatz kommt aber vielleicht Moskau in Frage als Geburtsort der MiG-29″, so Höche weiter. Er habe diesbezüglich schon Kontakte aufgenommen, aber noch keine Antwort erhalten.
Nach dem gewohnt positiven Ausblick von “Rechnungsführer” Oberstleutnant Jürgen Schumann auf die Finanzen der Staffel gab es dieses Jahr gleich zwei Vorträge zum Thema “Mitflüge” – “Und zwar vor dem Essen, sonst passt keiner mehr auf”, wie Höche anmerkte. Den Anfang machte Oberstleutnant d.R. Uli Metternich, der eine Reihe seiner mitfliegerischen Foto-Impressionen vorführte. Metternich war bis 2000 in Nörvenich als Tornado-Waffensystemoffizier eingesetzt und konnte seitdem eine ganze Reihe Presse-Mitflüge absolvieren, unter anderem auch vier im “Backseat” der MiG-29. Die Luftwaffen-FULCRUMS hatte er in den Jahren 2002 bis 2004 sowohl in die Schweiz als auch nach Key West und Eglin in Florida begleitet und auch die Überführung der letzten MiGs nach Polen mitgemacht. Trotz der Masse an beeindruckenden Motiven in der Luft und am Boden wurde im Verlauf der Bilder-Show allerdings leichter Unmut im Publikum laut, das eine gewisse Tornado-Lastigkeit in der Zusammenstellung auszumachen glaubte. Die nur raunend vorgebrachte Kritik vermochte den Vortragenden natürlich nicht vom einmal eingeschlagenen Kurs abzubringen, und so gab es neben der MiG viele Schwenkflügler, eine Anzahl Phantoms und eine ganze Reihe schwarz-gelb bemalter Flugzeuge und Hubschrauber zu bewundern, denn Metternich ist zugleich der offiziell bestallte Fotograf des jährlich ausgerichteten “Tiger Meets” der NATO.
Auch im zweiten Vortrag spielte die FULCRUM nicht die Hauptrolle, dafür aber ein anderes Jagdflugzeug russischer Herkunft: Oberstleutnant Frank Simon, früher MiG-29-Pilot und heute Eurofighter-Fluglehrer, war zu einem Mitflug auf der Su-30MKI – einer Variante der Su-27 FLANKER – nach Indien eingeladen worden und berichtete über seine Erlebnisse am Himalaya. Die Atommacht mit 1,2 Milliarden Einwohnern und 1600 verschiedenen Sprachen fühle sich im kalten Krieg mit Pakistan und China und unterhalte daher eine Armee von 1,3 Millionen Soldaten, sagte Simon. Mit Grausen erzählte er von der für europäische Verhältnisse völlig chaotischen Autofahrt von der Hauptstadt Neu-Delhi zum Fliegerhorst bei Bareilly – “Wenn man nicht ständig hupt, gilt man als Verkehrshindernis, weil den anderen Verkehrsteilnehmern die akustische Wahrnehmung fehlt.” Das Cockpit der Su-30MKI habe ihn stark an die MiG-29 erinnert, und die Flugleistungen der mit verstellbaren Schubdüsen ausgerüsteten Maschine seien bemerkenswert gewesen. Auch das berühmte “Kobra”-Manöver, bei dem die Nase des Jets bei gleichbleibendem Flugvektor ruckartig nach oben genommen wird, wurde ihm von seinem Piloten demonstriert. Allerdings verliere das schwere Flugzeug dann so viel Energie, dass es im Luftkampf Probleme bekomme. “Mit dem Eurofighter wäre ich dann wieder im Vorteil”, so die Bewertung Simons. Und ein Sparwunder sei die Suchoj auch nicht gerade: “Wir haben zehn Tonnen Treibstoff in einer Stunde durchgejubelt.”
Dergestalt mit interessanten Informationen und bildhaften Eindrücken gefüttert, machte sich die Gesellschaft im Anschluss daran, die knurrenden Mägen am Buffet zu füllen. Bei Wein und Bier und zahlreichen Gesprächen, in denen auch so mancher Mitflug in der Erinnerung wieder auflebte, verging der Abend viel zu schnell, und um fünf Uhr morgens verließen die letzten Wackeren die im Ostseesaal aufgebaute Bar, um sich ins Hotelbett zu legen – oder, wie im Falle des ortsansässigen Oberst “Pitt” Hauser, einfach mit der Straßenbahn nach Hause zu fahren. Das wird ihm nächstes Jahr wohl nicht gelingen: Die 9. Reunion der FULCRUM-Staffel findet in Berlin statt.