Streiche Vegas, setze Hauptstadt
Eigentlich sollte das zehnjährige Bestehen der FULCRUM-Staffel ja in Las Vegas gefeiert werden. Doch leider hatten sich diese hochfliegenden Pläne zerschlagen, und so trafen sich die ehemaligen MiG-29-Piloten zur 9. Reunion der Traditionsgemeinschaft in der deutschen Hauptstadt. Aber auch Berlin war eine Reise wert, und die von Staffelmitglied Generalmajor Karl Müllner für den Nachmittag „eingetüteten“ Besuche in Kanzleramt oder Reichstag wurden begeistert angenommen – wann bekommt man schon in natura den Kabinettstisch zu sehen, an dem die Regierungsmitglieder die Entscheidungen der Kanzlerin abnicken dürfen (so in etwa stellte jedenfalls die Führerin der Besuchergruppe das politische Verfahren dar).
Das zentral gelegene Hotel Steigenberger bot zwar keine Bar, aber einen festlichen, schick ausgeleuchteten Saal, in den Staffelkapitän Generalleutnant a. D. Jürgen Höche nach dem pünktlich um 18.29 Uhr eingeläuteten Sektempfang und dem obligatorischen Gruppenfoto auf der Hoteltreppe einrücken ließ. Insgesamt 64 Gäste jeden Alters – vom Kleinkind bis zum gesetzten Herrn – nahmen Besitz von den gedeckten Tischen, wobei die Familienangehörigen in der Überzahl waren: Von den 73 Staffelmitgliedern konnten dieses Jahr nur 27 als anwesend gezählt werden.
Entsprechend begann Staffelkapitän Höche seine kurze Ansprache auch mit der Aufforderung „Ehret die Damen“, bevor er Dankesworte an alle richtete, die zur Ausrichtung des Abends beigetragen hatten – mit besonderem Hinweis auf Oberstleutnant a. D. Peter Steiniger, „den Montezumas Rache ereilt hat“. „Stoini“ war gerade mit seiner Familie von einer Urlaubsreise in die Türkei zurückgekehrt und hatte noch eben den einleitenden Freitagabend überstanden, bevor er die Hauptstadt magen- und darmmäßig schwerst angeschlagen und bitter enttäuscht verlassen musste – es war die erste Reunion, bei der er fehlte. „Stoini hält die Staffel am Leben“, lobte ihn der StaKa in Abwesenheit, und lauter Applaus gab diesen Worten recht.
Der weitere organisatorische Ablauf lag damit in den Händen von Rechnungsführer Oberstleutnant Jürgen Schumann, dessen Bericht wie gewohnt äußerst positiv ausfiel. Das soll auch so bleiben: „Trotz der weggefallenen Reise würde ich die Beiträge gern in der bisherigen Höhe beibehalten – vielleicht brauchen wir das Geld ja doch noch mal“, gab er zu Protokoll. Die turnusmäßige Vorstandswahl schlug mit einem Zeitansatz von unter einer Minute sogar den Rekord von vor zwei Jahren: Als „Paket“ wurden der Staffelkapitän, die Einsatzstabsoffiziere Steiniger, Oberstleutnant a. D. Bernd Pfähler und Oberstleutnant Udo Sadzulewski sowie der Refü per Handzeichen in ihren Ämtern bestätigt. Anschließend wurde die Stärke der Staffel um einen Kopf vergrößert: Oberstleutnant d. R. Dr. Stefan Petersen, der die MiG-29 über ihre gesamte Zeit in der Luftwaffe als Presseoffizier begleitet sowie auf zahlreichen Mitflügen Fotos gemacht hatte und zudem als regelmäßiger Chronist der FULCRUM-Staffel-Reunions fungiert, wurde zum Ehrenmitglied ernannt – was diesen mit riesiger Freude und Stolz erfüllte, wenn das hier einfach mal so eingepflegt werden darf.
Nach dem etwas zu Tornado-lastigen Vortrag im Jahr davor stand dieses Mal wieder die MiG-29 im Mittelpunkt. „Wir möchten die Karriere der FULCRUM in deutschen Diensten in Abschnitten vom Anfang bis zum Ende Revue passieren lassen“, sagte Höche. Den Anfang machte Oberst a. D. Manfred Skeries, ehemaliger Chef Jagdfliegerkräfte der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/LV), der als Teilnehmer des ersten Umschuler-Lehrgangs im damals sowjetischen Monino 1987 prädestiniert war, über die Einführung der MiG-29 in die Nationale Volksarmee zu berichten.
Leicht behindert durch eine manchmal nicht ganz vortrags-konforme Geschwindigkeit und Reihenfolge der Begleit-Fotos, erzählte Skeries von den Schwierigkeiten der ersten Stunde, wie etwa der Notwendigkeit, alle „Bold Faces“ mit der Hand abzuschreiben, da ein Einsatz des Kopierers von den Gastgebern schon fast als Vorstufe der Spionage bewertet wurde, aber auch von Land und Leuten im Umfeld des Flugplatzes. Er berichtete davon, wie sich die deutschen Piloten unter Anleitung der sowjetischen Fluglehrer mit der MiG-29 vertraut machten und wie beeindruckt sie von dem neuen, weit überlegenen Muster waren. Dass sie aber – zurückgekehrt in die Heimat – zunächst wieder auf der MiG-21 flogen, denn die ersten deutschen FULCRUMs landeten nicht mehr 1987, sondern erst im April 1988 auf ihrer neuen Heimatbasis Preschen an der polnischen Grenze. Ein kurzer Film über die Flugvorführuung von sechs MiG-29 des russischen Kunstflug-Teams „Strizhi“ auf der Luftfahrtmesse MAKS 2011 in Moskau rundete seine halbstündigen Ausführungen ab.
StaKa Höche erinnerte sich in diesem Zusammenhang an sein Treffen mit dem Konstruktionschef der FULCRUM bei der Firma MiG-MAPO im Jahr 1998: „Die Luftwaffen-Piloten seien die einzigen auf der Welt, die die MiG-29 auf die Weise fliegen würden, für die er sie konstruiert habe, sagte er mir damals.“ Ein sehr großes Lob für die deutschen Flieger.
Die machten sich im Anschluss samt ihrer Familienangehörigen über das Buffet her und fanden sich gesättigt zu manch gemütlicher Runde in wechselnder Besetzung an den runden Tischen im Saal zusammen, um alte Erinnerungen oder neue Erfahrungen auszutauschen. Doch die gewohnte Bar fehlte dann doch ein wenig, und so zuckelten die letzten Aufrechten (welche die nicht mehr ganz so Aufrechten stützten) einen Tick früher als sonst in Richtung ihrer Zimmer und Hotelbetten. Auf Wiedersehen bei der 10. Reunion im Jahr 2012 – wahrscheinlich in Leipzig.
Stefan Petersen