„Das ist das erste Mal, dass ich mich bei meinen Leuten bedanken muss – sonst habe ich mich immer bei meinen Vorgesetzten bedankt, wenn ich eine neue Führungsposition übernommen habe“, scherzte Generalleutnant a. D. Jürgen Höche nach der Wahl zum Staffelkapitän der FULCRUM-Staffel. Der 63-jährige frühere Befehlshaber des Luftwaffenführungskommandos übernahm dieses Amt in der Traditionsgemeinschaft der ehemaligen deutschen MiG-29-Piloten, nachdem der bisherige Inhaber, Oberst a. D. Manfred Menge, im Juni dieses Jahres verstorben war. „Eigentlich sollte Manni Menge das noch über viele Jahre machen, er war die natürliche Wahl für diese Position“, so Höche.
Schon nach der Eröffnung der Reunion der FULCRUM-Staffel am 29. Oktober 2005 um punkt 18.29 Uhr mit einem Empfang und der Begrüßungsrede des Organisators des Treffens, Oberstleutnant Peter Steiniger, hatten die Anwesenden ihrem Staffelkapitän Oberst a.D. Manfred Menge und des ebenfalls verstorbenen Ehrenmitglieds Thomas von Storch mit einer Schweigeminute gedacht. Der darauf folgende, von Peter Steiniger arrangierte Filmbeitrag über die letzten Flüge mit der 1990 von der NVA übernommenen MiG-29 bei der Luftwaffe und deren Überführung zu ihren neuen Besitzern nach Polen im Sommer 2004 rührte viele Emotionen – nicht wenige Tränen wurden versteckt oder offen bei den Szenen über „Das Ende der deutschen MiG-29“ aus den Augenwinkeln gewischt. Die Neuwahl der Staffelführung und die Bestätigung des alten Vorstandes waren danach nur noch eine reine Formsache für die Staffelangehörigen. 47 von 74 Mitgliedern hatten sich im Strandhotel „Fischland“ auf dem Darß bei Rostock eingefunden, viele mit Frauen und Kindern, so dass der große Saal des Hotels mit knapp 100 Gästen gut gefüllt war.
Der neue Staffelkapitän dankte in seiner Ansprache den Sponsoren der nach der 2001 erfolgten Gründung der FULCRUM-Staffel dritten Reunion nach 2002 und 2003 – im Jahr 2004 hatte sich die MiG-Gemeinschaft anlässlich des Festes zur Außerdienststellung der MiG-29 auf dem Fliegerhorst Laage getroffen. Zugleich nutzte Höche die Ansprache für einen kurzen Rückblick auf seinen fliegerischen und militärischen Werdegang: „Ich bin eigentlich immer Jabo gewesen und erst mit der Übernahme der 3. Luftwaffendivision in Berlin-Gatow zum Jäger geworden.“ Neun Jahre – von 1993 bis 2002 – hat der neue Staffelkapitän, der einen solchen Posten übrigens während seiner aktiven Laufbahn nie bekleidet hat, die FULCRUM geflogen und auch seinen letzten Flug in der Luftwaffe auf ihr absolviert.
Der offizielle Teil der Reunion wurde mit der Übergabe der silbernen MiG-29-Anstecker und Poljot-Armbanduhren an die Staffelangehörigen Fregattenkapitän a.D. Toni Angerer, Oberstleutnant Michael Baumgart und Oberst a.D. Manfred Skeries fortgesetzt, bevor Johannes Falke als neues Ehrenmitglied der Traditionsgemeinschaft aufgenommen wurde. Falke, der wegen der plötzlichen Erkrankung seines Sohnes kurzfristig seine Teilnahme an dem Treffen absagen musste, war zunächst Technischer Offizier und später Chef der MAPS (MiG Aircraft Product Service), die für die Unterstützung der Luftwaffe beim Betrieb der FULCRUM verantwortlich zeichnete. „Er hat dafür gesorgt, dass wir fliegen konnten“, würdigte Major a.D. Rainer Hankowiak das Wirken von Johannes Falke. Der anschließende Bericht vom „Rechnungsführer“ der Staffel, Oberstleutnant Jürgen Schumann, fiel knapp und günstig aus. Den Abschluss des offiziellen Teils übernahm Oberstleutnant Michael Wegerich mit seiner Vorstellung des Buchprojektes über die deutsche MiG-29, der mit den Worten „Ich werde mich kurz fassen“ einen dicken Packen Seiten aufblätterte und mit seiner kurzweiligen Art immer wieder die Lacher auf seiner Seite hatte. Gutgemeinte Ermahnungen trugen zur Beschleunigung des Vortrags bei, und nachdem Wegerich mit dem Appell an alle Anwesenden, Material für das in zwei Bänden geplante Werk zur Verfügung zu stellen, geendet hatte, konnten sich die allmählich knurrenden Mägen am reichhaltigen Buffet gütlich tun.
Trotz der zwei schweren Verluste und der Erinnerung an den endgültigen Abschied der deutschen FULCRUMS war es eine äußerst harmonische Veranstaltung – viele Mitglieder der FULCRUM-Staffel treffen sich nur zu den Reunions, und so war auf allen Seiten die Wiedersehensfreude groß und es gab Unmengen zu erzählen. Von Erlebnissen mit der MiG unter den Flaggen beider deutscher Staaten über den Dienstbetrieb mit dem Nachfolger in Laage, dem Eurofighter, bis hin zum Austausch über das Schicksal gemeinsamer Bekannter erstreckten sich die Themen, und der Gesprächsstoff ging niemals aus. Wie bei solchen Anlässen üblich, verlagerte sich das Geschehen im Laufe des Abends an die Hotelbar, in der noch bis zum frühen Morgen Erinnerungen aufgefrischt wurden – und zwar eine Stunde länger als in anderen Nächten, durch die an diesem Datum erfolgte Zeitumstellung. Auch die Damen wurden in ständiger angeregter Unterhaltung beobachtet, und einige ganz Mutige wagten sich sogar auf die kleine Tanzfläche. Dass die letzten fünf Aufrechten erst um halb sieben Uhr morgens (Winterzeit!) die Bar verließen, spricht eindeutig für den Erfolg der Veranstaltung – und das Durchhaltevermögen der deutschen FULCRUM-Piloten.
Stefan Petersen