Alter Ort und neuer Gast
Bewährtes kann man ruhigen Gewissens wiederholen, und so kam die FULCRUM-Staffel 2014 für ihre zwölfte Reunion am selben Ort wie im Vorjahr zusammen. Knapp 60 Köpfe zählte die Gemeinschaft, die sich im IFA-Hotel Gral-Müritz im Norden Mecklenburg-Vorpommerns eingefunden hatte, darunter mit 27 ehemaligen MiG-29-Piloten jedoch weniger Gründungsmitglieder als 2013. Das lag zum Teil daran, dass einige kurzfristig abgesagt hatten – unter anderem auch der Manager des Treffens, Oberstleutnant a.D. Peter „Stoini“ Steiniger, der wegen eines familiären Notfalls nach Bayern reisen musste. Den Rest der Organisationsarbeit hatten daraufhin Oberstleutnant a.D. Bernd Pfähler und Oberstleutnant Jürgen „Schumi“ Schumann übernommen, wie der Kapitän der Traditionsstaffel, Generalleutnant a.D. Jürgen Höche, in seiner Ansprache hervorhob. „Aber Stoini hat einen Beifall dafür verdient, dass er alles so gut vorbereitet hat“, fuhr er fort, und sofort brandete Applaus auf. Gentleman-like begrüßte Höche wie immer zunächst die anwesenden Damen und unter ihnen besonders Barbara Menge, die Witwe des 2005 verstorbenen ersten Kapitäns der FULCRUM-Staffel Manfred Menge, die das erste Mal dabei war. „Und darüber freuen wir uns ganz besonders“, so Höche.
Auch der amtierende Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, hatte sich die Muße für eine Teilnahme genommen – trotz der schweren Zeiten, in denen sich die Truppe derzeit befindet. Auf diese ging Höche ein, indem er die Parabel vom Fuchs und dem Igel rezitierte und daran erinnerte, warum die Bundeswehr den durch seine Stacheln geschützten Igel als Symbol hat. „Aber manchmal vergessen die Politiker, dass man das Stachelkleid zur Verteidigung nur schließen kann, wenn auch Stacheln da sind. Und die kosten nun mal Geld.“ Geld kostet allerdings auch so eine Reunion, und daher freute sich der Staffelkapitän über die Finanzierung des Buffets durch ein großes deutsches Luftfahrtunternehmen, bei dessen anwesenden Repräsentanten er sich bedankte. „Das Leben ist doch viel lebenswerter, wenn man gesponsert wird“, fügte er hinzu. Der Bericht von Rechnungsführer Schumann fiel wie gewohnt knapp und sehr positiv aus, und der Ort für die nächste Reunion schien auch rasch geklärt, nachdem auf eine entsprechende Frage nur wenige Finger für Köln in die Höhe gegangen waren. „Dann machen wir das wieder hier“, beschied Höche.
Da Oberstleutnant Tom Hahn krankheitshalber abwesend war, wurde die Folge der Vorträge der früheren Staffelkapitäne der 1. Staffel des Jagdgeschwaders 73 „Steinhoff“ unterbrochen. Oberstleutnant a.D. Holger Kann sprang mit einem Bericht über die Flugsicherung zur Zeit der Wiedervereinigung in die entstandene Bresche und beeindruckte die Zuhörer zunächst mit einer Zahl zum derzeitigen Stand der Dinge. „660.000 Flugbewegungen gibt es heute jährlich im Luftraum über Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, in dem der Flugbetrieb mit der MiG-29 überwiegend stattfand“, begann der frühere Senior Controller des JG 73 seine humorigen Erläuterungen und hatte mit dem Folgesatz „Das beherrschen nur Genies, da können Sie mich ruhig ein bisschen bewundern“ gleich den ersten Lacher von vielen auf seiner Seite. Anschaulich beschrieb er den Zustand der Flugsicherung im Jahre 1989 mit den verschiedenen Systemen in Ost und West und der zusätzlichen Besonderheit der Berlin-Korridore. „Das sollten ab 1990 sechs Stabsoffiziere zusammenfügen, und einer davon war ich.“ In seiner Dienststelle in Berlin-Tempelhof hätten die Westalliierten damals Hand in Hand gearbeitet: „Die Amerikaner überwachten die Korridore, die Briten machten die Anflug-Kontrolle und die Franzosen haben zugesehen, wie alles funktioniert.“ Dringender Handlungsbedarf war gegeben, weil sich der Luftverkehr von Mitte 1989 bis Ende 1990 nahezu verdoppelte. Und erschwert wurde die Arbeit dadurch, dass die Ostseite völlig andere Ideen für die neue Luftraumstruktur hatte als die westliche. Man einigte sich schließlich, und Ende 1990 flogen erstmals Maschinen der Luftwaffe kontrolliert durch den Luftraum über den neuen Ländern. Der erste Jet war eine F-4F Phantom vom JG 74 „Mölders“ in Neuburg – und am Steuerknüppel saß, so der Vortragende, der damalige Hauptmann und heutige Inspekteur Müllner. „Er hat während dieses Fluges nicht viel über Funk gesagt“, erinnerte sich Kann und hatte dafür sofort eine für ihn typische Erklärung parat: „Wenn Sie mit einem Fluglotsen wie mir sprechen, dann haben Sie natürlich das Gefühl, dass Sie Gott noch nie so nah waren.“
Das folgende Buffett war so gut wie 2013 und einer der Gründe dafür, dass die Staffel in dieses Hotel zurückgekehrt war. Unterbrochen wurde das Festessen nur durch eine überraschende Ankündigung des Staffelkapitäns: Man habe am „Führungstisch“ gerade die Idee ausgebrütet, 2015 gemeinsam die neue Heimat der Ex-Luftwaffen-MiG-29 in Polen zu besuchen, verkündete Höche. Gegen 23 Uhr verlagerte sich das Geschehen wie stets vom Speisesaal an die Hotelbar, wo die letzten Unentwegten noch bis vier Uhr früh tagten – interessanterweise übrigens nicht die üblichen Verdächtigen, sondern in ganz anderer Zusammensetzung als sonst. Bis auf den Berichterstatter natürlich. Aber der hat ja eine Aufgabe und damit eine Entschuldigung dafür, immer als einer der Letzten zu gehen.
Stefan Petersen