Spannende Vorträge rund um die „Rote Diva“
Hautnahen Kontakt mit ihren früheren MiG-29 hatten die Mitglieder der FULCRUM-Staffel ja schon drei Jahre zuvor, als sie nach Polen reisten, wo die ehemals deutschen Jets – immer noch – bei der 41. Eskadra Lotnictwa Taktycznego in Malbork im Einsatz sind. Doch auch bei der 16. Reunion im Jahr 2018 gab es wieder eine MiG zum Anfassen und sogar Hineinsetzen, allerdings keine flugfähige: Die Traditionsgemeinschaft traf sich im Militärhistorischen Museum Berlin-Gatow, besser bekannt – und auch künftig wieder unter diesem Namen firmierend – als Luftwaffenmuseum. Dort steht die einzige der einst 24 deutschen FULCRUMs, die im Land geblieben ist.
Museumsleiter Oberstleutnant Ralf-Gunter Leonhardt – selbst früher Technischer Offizier für die MiG-29 – ließ es sich nicht nehmen, die Gäste nicht nur persönlich zu begrüßen und mit dem Konzept des Museums vertraut zu machen, sondern auch einen Abriss über die Geschichte der FULCRUM in Deutschland zu geben – mit historischen Fakten, die vielen gar nicht bekannt waren. „Es gibt viele Mythen um die MiG-29. Glauben Sie nicht alles, was erzählt wird“, sagte Leonhardt und wies in diesem Zusammenhang auf die Unzuverlässigkeit der Aussagen von Zeitzeugen hin. „Die erinnern sich nur an das, woran sie sich auch erinnern wollen. Die entscheidende Arbeit eines Historikers findet in den Archiven zwischen Papieren statt.“
Die Übernahme der MiG-29 der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung (LSK/LV) der DDR in die Bundeswehr sei eine rein politische Entscheidung gewesen, führte er aus. „Die Luftwaffe wollte das Flugzeug nicht.“ Drei Gründe waren am Ende jedoch ausschlaggebend: „Zumindest ein Waffensystem der NVA wollte die Politik in die Zukunft übernehmen. Es gab zudem Bestrebungen, Zugang zur Rüstungsindustrie der UdSSR zu finden. Und dann war da noch der Irak-Krieg.“ Die militärische Seite sei von der Entscheidung völlig überrascht gewesen, habe aber mit der viermonatigen Truppenerprobung bei der Wehrtechnischen Dienststelle 61 (WTD 61) begonnen, die die Einschätzung ergab: „Ein nützliches Waffensystem, das logistisch gut betreibbar ist und fliegerisch mit F-15 und F-16 mithalten kann.“ Die weiter bestehenden Bedenken gegen den Betrieb der FULCRUM hätten einen ganz anderen Grund gehabt, so Leonhardt: „Es wurde befürchtet, dass so das Rüstungsprojekt Eurofighter gefährdet würde – zumal Moskau nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion 1991 gegen einen Schuldenerlass weitere 200 MiG-29 anbot.“
Zwar wurde 1991 seitens der Bundesregierung beschlossen, die 24 vorhandenen Maschinen zwölf Jahre lang weiterzufliegen und in die NATO-Luftverteidigungsstruktur zu integrieren. Aber eine echte Zukunft war dem russischen Jet in Deutschland nicht bestimmt. „Nach Auswertung aller Daten vom Erprobungsgeschwader in Preschen wurde 1994 entschieden, statt auf die MiG-29 doch lieber auf den Eurofighter zu setzen. Die FULCRUM sollte nur als Lückenfüller bis zu dessen Einführung dienen.“ Das Erprobungsgeschwader habe sich mittlerweile ein Jahr lang ohne Ersatzteilversorgung durchschlagen müssen und sozusagen „aus der russischen Apotheke gelebt“, so Leonhardt. Personalwechsel in der Technischen Gruppe hätten diese Zeit zusätzlich erschwert, erinnerte er sich. „Erst 1993 wurde das erste Triebwerk in Russland überholt.“ Um das Chaos, dass es auf der russischen Seite gab, aufzufangen, wurde die MAPS gegründet, die MiG Aircraft Product Support GmbH, ein Joint Venture zwischen dem Hersteller und DaimlerChrysler Aerospace (DASA). „Das ist eine sehr spannende Geschichte, zu der wir noch nicht alle Dokumente haben.“ Eine Führung durch die Ausstellung „Zwischenlandung“ zur Historie der militärischen Luftfahrt in Deutschland rundete den Besuch in Gatow ab.
Den zweiten spannenden Vortrag gab es bei der eigentlichen Reunion am Abend im Kongresshotel Potsdam, doch erst nach der Begrüßung durch den Kapitän der FULCRUM-Traditionsstaffel, Generalleutnant a. D. Jürgen Höche. Der zollte – wie stets – zunächst den Damen der 34 anwesenden Ex-MiG-29-Piloten Respekt, bevor er sich bei Organisator und Sponsor bedankte und die beiden anwesenden Staffelmitglieder aus den USA, Lieutenant-Colonel ret. Michael Jaensch und Lieutenant-Colonel ret. Fred Clifton begrüßte. Unter dem Titel „Nochmal tanzen mit der Roten Diva“ berichtete „Spanky“ Clifton im Anschluss an das reichhaltige Buffet über weitere MiG-29-Starts, die er nach seinem letzten Flug in Deutschland 1998 noch 2010 in den USA absolvierte – mit einer FULCRUM in Privatbesitz.
Diese Geschichte entwickelte sich allerdings mit Hindernissen. Zwar war er schon 1999 von Don Kirlin, dem reichen Gründer und Besitzer von Air USA in Quincy/Illinois angesprochen worden, als dieser seine private Flotte von L-39, L-59, Alpha Jet und Hawk um zwei MiG-29 aufgestockt hatte, doch diese beiden Maschinen waren in keinem besonders guten Zustand. „Zwei Warte aus Laage haben die Jets überprüft und eine Liste erstellt, die nur schlechte Nachrichten enthielt, von fehlenden Teilen und defekten Triebwerken“, erzählte „Spanky“. Die von Kirlin gestellte Aufgabe an seine Leute war daraufhin: „Findet die Teile“, aber Triebwerks-Computer etwa waren nicht so leicht aufzutreiben. Besonders ärgerlich sei gewesen, dass die Triebwerke eigentlich nagelneu waren, aber beim Transport schwere Beschädigungen erlitten hätten. Also suchte Kirlin neue FULCRUMs – und wurde fündig. „2010 bekam ich dann einen Anruf: Unsere MiG-29UB ist flugbereit, komm‘ her, überprüf‘ sie – und flieg‘ sie, wenn sie klar ist“, erinnerte sich Clifton. Aber dann habe er sich das Bein gebrochen und absagen müssen. Stattdessen sollte Major ret. Doug „Winnie“ Russell, der dritte der US-Air-Force-Austauschpiloten auf der Luftwaffen-MiG-29, gefragt werden. „Ich dachte, meine letzte Chance, noch einmal mit der Roten Diva zu fliegen, sei vorbei“, so Clifton. Umso überraschter sei er gewesen, als er ein paar Monate später erneut das Angebot bekam, eine der beiden doppelsitzigen UBs von Kirlin zu fliegen. „Der hatte die in der Ukraine gefunden und von ungarischen Technikern wieder klarmachen lassen.“ Im Dezember 2010 war es dann so weit, und die MiG-29UB hob – zum ersten Mal seit elf Jahren – mit „Spanky“ an den Kontrollen von der Startbahn in Quincy ab, begleitet von einer L-59 und beobachtet von hunderten Zuschauern, „trotz der herrschenden Schweinekälte“. Doch in der Luft entwickelte der Jet sofort ein Problem, wollte die Nase nach unten nehmen und nach rechts rollen. „Ist das die Flugkontroll-Software, habe ich mich gefragt und das Steuersystem umgeschaltet – und danach flog das Flugzeug gut“, sagte Clifton. Die Techniker nahmen sich nach der Landung des Fehlers an und der zweite Flug verlief problemlos. „Insgesamt sechs Flüge habe ich gemacht und alles getestet. Der Jet war okay bis auf ein paar Kleinigkeiten.“ Die Idee von Kirlin, ihn als Feinddarstellung für die US Air Force zu nutzen, konnte jedoch nicht durchgeführt werden: „Die UB hat ja kein Radar, daher ist sie für diese Aufgabe nutzlos.“ Und da sie mit 25.000 Dollar pro Flugstunde auch im Betrieb sehr teuer ist, sei sie nach 2011 nicht mehr geflogen. „Jetzt steht sie im Hangar in der Ecke“, vermerkte Clifton, der für seinen Vortrag lauten Beifall bekam. Eine besondere Überraschung hatte er noch im Gepäck aus den USA mitgebracht: auf ein Zeichen hin wurde allen Kampfpiloten der traditionelle „Fighter Pilot Shot“ Jeremiah Weed kredenzt und mit einem Toast auf die gemeinsame Zeit angestoßen!
Geschichten rund um die MiG-29 – allerdings auch um die F-4F Phantom – beherrschten im Anschluss auch das gemütliche Zusammensein an der Hotelbar, das sicherlich noch etwas länger gedauert hätte, wenn diese nicht so „zeitig“ geschlossen worden wäre – obwohl die Nacht durch die Umstellung der Uhren eine Stunde länger war. Aber so waren die Mitglieder der FULCRUM-Staffel am nächsten Tag doch wesentlich fitter für den teilweise recht langen Heimweg.
STEFAN PETERSEN