10.Reunion 2012 Leipzig

Ein Flugzeug und seine Familie

Es war ein Treffen der Superlative, diese zehnte Reunion der FULCRUM-Staffel: Von den 74 Mitgliedern hatten mehr als 40  den Weg nach Leipzig gefunden. “ Und wenn ein solcher Prozentsatz einer Gemeinschaft zusammenkommen, so ist das schon eine sehr  stolze Zahl”, konnte Generalleutnant a.D. Jürgen Höche bei der Begrüßungsansprache zufrieden feststellen. Zumal mit Generalleutnant Karl Müllner und Generalleutnant a.D. Klaus-Peter Stieglitz gleich zwei Luftwaffen Inspekteure an den Tischen im Marriott saßen, der amtierende und sein Vorvorgänger. Besonders freute sich Staffelkapitän Höche zudem über zwei Gäste, die doch eine etwas weitere Reise auf sich genommen hatten, um ihre  deutschen MiG Kameraden zu treffen: Michael Jaensch hatte sich in seiner Heimat Illinois ins Flugzeug nach Deutschland gesetzt und Fred Clifton – erstmals bei einer Reunion dabei  – in Las Vegas. Mit den beiden Lieutenant-Colonels im Ruhestand waren gleich zwei Drittel der früheren amerikanischen Austauschoffiziere anwesend, und so passte die Statistik auch in diesem Bereich. Nur die Verleihung des MiG-29 -Ansteckers als Zugehörigkeitszeichen zur Staffelgemeinschaft an Clifton nicht recht gelingen, der kleine Jet weigerte sich beharrlich, an Cliftons Revers steckenzubleiben und folgte am Ende der Schwerkraft. Höche übergab ihn schließlich in die Hand: “Den müssen Sie sich jetzt selbst anstecken.“ “Spanky” Clifton ist übrigens der einzige in der FULCRUM-Staffel, der die MiG-29 noch aktiv fliegt: In den USA sind derzeit zwei MiG-29UB-Doppelsitzer zivil zugelassen. Auch den wieder so zahlreich miterschienenen Damen und anderen Familienmitgliedern  – insgesamt waren rund 80 Köpfe im Saal – widmete Höche anerkennende Worte, bevor er sich bei Oberstleutnant a.D. Peter Steiniger und Oberleutnant Andreas Gall für die gute Vorbereitung der Reunion in Leipzig bedankte. Die hatte schon am Freitag mit einem langen Abend an der Hotelbar begonnen und mit einer Stadtrundfahrt am Sonnabendnachmittag den nächsten Höhepunkt gefunden.

Anschliehend gab Höche einen Wunsch der Gemeinschaft Flieger deutscher Streitkräfte weiter, nämlich den Appell an alle, dort Mitglied zu werden: “Die Gemeinschaft ist zwar Dachorganisation der Traditionsverbände, aber man fürchtet ein Auseinanderdriften, wenn deren Angeörige nicht auch einzeln in der Gemeinschaft verankert sind und sich nicht auch einzeln in der Gemeinschaft verankert sind und sich außerhalb der eigenen Typ-Staffel treffen. Der Zusammenlegung von Staffel-Veranstaltungen erteilte Höche allerdings eine Absage: “Das finde ich nicht so gut, dafür bin ich viel zu gerne im Kreise dieser FULCRUM-Staffel – und freue mich jetzt schon auf die nächste Reunion.” Die findet nun definitiv nicht in Las Vegas statt. Nachdem dieses Vorhaben immer wieder durch die vergangenen Jahre gewabert war, machte Oberstleutnant a.D. Bernd Pfähler Nägel mit Köpfen: Nachdem sich auf die Frage, wer sich denn eine Teilnahme an einem Treffen in den USA vorstellen könne, nur ein Dutzend Zeigefinger hob, war der Plan endgültig vom Tisch. Das ist zu wenig, mindestens Hälfte der Staffel müsste schon dabei sein”, befand Pfähler.

Dass vor der Buffett-Eröffnung wie immer ein Vortrag stand, konnte keinen im Saal schrecken. Alle hingen gebannt an den Lippen von Oberstleutnant a.D. Wolfgang Michalski, der als einer von vier West-Piloten im Winter 1990 zum MiG-29 -Geschwader Preschen kam und von den spannenden Jahren bis 1995 erzählte, als der nach Laage umgezogene Verband als Jagdgeschwader 73 etabliert war und eine Alarmrotte stellte. “Ich hatte schon immer Ambitionen, die MiG-29 zu fliegen und habe nach der Deutschen Einheit sofort beim damaligen Kommodore Manni Menge angeklopft, um dabei sein zu dürfen”, sagte „Ski”. Die ATV-Gruppe – ATV steht für Auswertung Truppenversuch und Vorschriften  – unterzog die FULCRUM einem vierphasigen Testprogramm mit rund 300 Flügen.  “Die erste Phase war unser Eigentraining, ohne Simulator und auf einem Flugzeug, das ein russisch beschriftetes Cockpit mit Anzeigen im metrischen System hatte. Der gesamte aerodynamische Bereich der Maschine sei dabei erflogen worden. “Für die zweite Phase  haben wir noch einmal alle NVA-Führungsmittel wieder aufgebaut, um die MiG-29 im Betrieb Ost zu testen. ” Die dritte Phase habe der Ermittlung der Auffassungs- und Wirkungsreichweite gegen westliche Waffensysteme gedient. “Da waren wir nie allein im Luftraum, es war immer irgendeine NATO-Maschine da, aus der man uns fotografierte – wir waren ja Exoten erinnerte sich Michalski.  Und daran, dass die festgelegten Fluchtdistanzen für West-Flugzeuge beim Aufeinandertreffen mit einer FULCRUM erhöht werden mussten, weil man die Fähigkeiten der MiG-29 unterschätzt hatte. Wie die Praxis aussah, zeigte die vierte Phase, bei der von Decimomannu auf Sardinien aus gegen amerikanische F-15 und F-16 geflogen wurde.  “Da haben wir im Luftkampf teilweise gepumpt wie die Maikäfer ”, so Michalski lachend.  “Und wir haben  unsere neu entwickelten Taktiken erfolgreich ausprobiert, so dass die Entscheidung zum Weiterbetrieb der FULCRUM und ihrer Integration in die Luftwaffe fiel. Von den Problemen mit der Ersatzteilversorgung erzählte “Ski” und von der Skepsis, mit denen die 42 ostdeutschen MiG-29 -Piloten anfänglich dem Treiben der Wessis” zusahen, von den ersten Begegnungen mit der Westgruppe der sowjetischen Streitkräfte in Deutschland, von gemeinsamen Festen mit den Russen und Deutschland, und ersten Übungen in Deutschland mit den Amerikanern 1995, als die MiG -29 auf F/A -18 des US Marine Corps traf. Und von spannenden  Flügen im westlichen Luftraum in den ersten Jahren, als die Luftwaffen-FULCRUMS noch gar nicht nach ICAO-Standards ausgerüstet waren. “Brenzlige Situationen gab es genug ”, fasste er am Ende zusammen. “Aber wir hatten viel Gück – das Glück der Tüchtigen. Diese Zeit sei  “einfach geil ” gewesen, und er habe damals den  “besten Job in der Luftwaffe” gehabt. Letztlich seien aber die Menschen hinter dem Flugzeug wichtig:  “Die MiG ist nicht mehr unter uns, aber wir alle treffen uns immer noch gerne.” Der Beifall gab ihm Recht, und dieser Geist war den ganzen Abend lang zu spüren – an den vielen Tischen im Festsaal und später nach der Verlagerung an die Hotel-Bar. Als das letzte Häuflein Aufrechter den Entschluss zur Bettruhe traf, zeigten die Uhren viertel nach fünf  – aber eigentlich war es erst viertel nach vier, denn auch bei diesem Treffen sorgte die Zeitumstellung für eine Extra-Stunde, die ausgefüllt war mit guter Laune und dem Austausch von Neuigkeiten und Erinnerungen. Dank der überschaubaren Größe der FULCRUM-Staffel gleichen die Reunions immer mehr einer Familienfeier – und schweißen die Mitglieder jedes Jahr noch ein bisschen fester zusammen.
Dr. Stefan Petersen

Bilder für Staffelmitglieder