Wiedersehen mit der „Roten Diva“
Die 13 kann keine Unglückszahl sein, jedenfalls nicht für die FULCRUM-Staffel. Denn die 13. Reunion der ehemaligen Piloten der deutschen MiG-29 in Polen war für alle Teilnehmer eine Aneinanderreihung ganz besonderer Erlebnisse, die wie am Schnürchen klappte – nicht zuletzt dank der perfekten Vorbereitung durch Oberst a.D. Peter „Pitt“ Hauser. Der hatte die Verbindungen spielen lassen, die er in seiner Dienstzeit als Angehöriger des Multinationalen Korps in Stetin geknüpft hatte, und bot den drei Dutzend Besuchern aus Deutschland – 22 Ex-MiG-29-Flugzeugführer von Luftwaffe und NVA, deren Angehörige und drei Ehrenmitglieder – ein perfektes Programm. Und das bei allerbestem Wetter.
Schon der Ort war gut gewählt: Mit dem Hilton in Danzig stand eine ausgezeichnete, malerisch an der Mottlau und fußläufig zur Innenstadt gelegene Unterkunft mit gut ausgestattetem Festsaal und – ganz wichtig – einer schönen Hotelbar zur Verfügung. So bildeten sich denn auch sofort nach der Ankunft am Freitag kleine Grüppchen, die durch die Altstadt zogen und die wundervoll restaurierten historischen Fassaden bewunderten. Wobei sie immer wieder auf andere kleine Grüppchen von Angehörigen der Traditionsstaffel trafen, die mit einem anderen Flug oder per Auto den Weg nach Gdansk gefunden hatten. Gruppenweise wurde auch das Abendessen eingenommen, zumeist in Restaurants in Hotelnähe, die typische polnische Gerichte anboten, bevor der erste Abend in der Hotelbar ausklang – für die einen früher und für so manchen später.
Trotzdem saßen am Sonnabend alle pünktlich um 9 Uhr in dem von der polnischen Luftwaffe gestellten Bus, der die Truppe zu der eine Stunde entfernten 22nd Tactical Air Base nach Malbork brachte. Dort fliegt die 41. Eskadra Lotnictwa Taktycznego (41. ELT) die ehemaligen deutschen MiG-29. Das Wiedersehen mit der geliebten „roten Diva“, die nun die rot-weißen Markierungen der polnischen Streitkräfte statt der Eisernen Kreuze der Luftwaffe trägt, war schließlich der Hauptgrund für die Ortswahl dieser Reunion gewesen. Base Commander Oberst Leszek Błach und Staffelkapitän Oberstleutnant Krzystof Stobiecki begrüßten die deutschen Gäste, die beim darauffolgenden Briefing nicht nur mit den Eigenheiten der Basis und des FULCRUM-Flugbetriebs vor Ort bekannt gemacht wurden, sondern auch eine Einführung in die drei Einsätze der 41. ELT im Rahmen des Air Policings der NATO im Baltikum erhielten, auf die Oberstleutnant Stobiecki bei seinem Vortrag am Abend noch detaillierter eingehen sollte. 2008, 2012 und 2014 waren die polnischen MiG-29 im litauischen Siaulai stationiert. Die interessierten Zuhörer erfuhren weiterhin, dass junge polnische FULCRUM-Piloten 120 Stunden im Jahr fliegen, während Flugzeugführer, die bereits „Combat ready“ sind, ihren Status mit nur 50 Stunden halten müssen. Air-to-air ist – natürlich – die Hauptaufgabe der MiG-29 auch in der polnischen Luftwaffe. „Wir üben aber auch die Air-to-ground-Rolle mit Bordkanonen-Schießen und Bombenwurf auf Truppenübungsplätzen“, verriet Oberstleutnant Stobiecki.
Nach dem theoretischen folgte sozusagen der praktische Teil. Zwei MiG-29 – ein Einsitzer und ein Doppelsitzer – präsentierten sich piekfein herausgeputzt und in einem so sauberen Zustand, wie ihn die Maschinen in Deutschland nur gerade nach der Lackierung aufwiesen, den Besuchern in und vor einem Hangar, der auch älteren Flugzeugmustern der polnischen Luftwaffe ein Dach bot. Begeistert wurden Sitzproben in der MiG-17, MiG-21 und Su-22 gemacht und (von den Ex-NVA-Piloten) Erinnerungen aufgefrischt oder (von den westlich des Eisernen Vorhangs ausgebildeten Flugzeugführern) Vergleiche zu den eigenen früheren Arbeitsgeräten gezogen. Viel zu schnell ging die hierfür angesetzte Stunde vorbei und der Bus wurde bestiegen, um den zweiten Höhepunkt des Tages anzusteuern: die bei Malbork gelegene Marienburg, die von 1309 bis 1454 Sitz der Hochmeister des Deutschen Ordens war. Auch hier hatte „Pitt“ Hauser gründliche Vorarbeit geleistet und eine Besichtigung in deutscher Sprache organisiert. Staunend folgten die Besucher der Führerin durch die weitläufige Anlage, die in den letzten Kriegsmonaten 1945 noch schwere Zerstörungen erlitten hatte und von den Polen weitestgehend wieder aufgebaut wurde. Heute ist die Marienburg einer der wichtigsten Anziehungspunkte für Touristen im Land und zählt seit 1997 zum Weltkulturerbe der UNESCO. Zwei Stunden lang erkundeten die Teilnehmer den größte Backsteinbau Europas mit seinen Verteidigungsanlagen, historischen Intarsien und mittelalterlichen Kunst- und Gebrauchsgegenständen, bevor es zurück nach Danzig ging.
Die eigentliche Reunion begann – wie immer – um 18.29 Uhr im Foyer des Hotels. Im Festsaal begrüßte der „Kapitän“ der Traditionsstaffel, Generalleutnant a.D. Jürgen Höche, nicht nur wie stets explizit die anwesenden Damen, sondern auch Oberst Błach und Oberstleutnant Stobiecki, die als Gäste geladen waren. Sein besonderer Dank ging an die Polen, an den abwesenden Oberstleutnant a.D. Bernd Pfähler für die Idee zu diesem Treffen, an „Pitt“ Hauser als „Projektoffizier“, an Major a.D. Rainer Hankowiak als Vertreter des Getränke-Sponsors von der Industrie sowie an den Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Karl Müllner, der den Kontakt zur polnischen Luftwaffenführung hergestellt hatte. „Allerdings kann er heute nicht hier sein, weil aus protokollarischen Gründen sonst auch der Kommandierende General der polnischen Luftstreitkräfte zugegen sein müsste – und dann wäre das hier ein politisches Event geworden statt einer privaten Feier“, sagte Höche. Denn das Treffen fand an einem ganz besonderen Datum statt: dem Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober. „Das ist auch für Polen ein wichtiger Tag“, so Höche. Nicht nur habe das polnische Volk dadurch, dass es sich von der sowjetischen Vorherrschaft freigemacht hat, den Boden für die Deutsche Einheit mitbereitet. „Erst das wiedervereinigte Deutschland hat die polnische Westgrenze vertraglich festgeschrieben.“ Nach 125 Jahren der Konfrontation gebe es nun endlich gute Beziehungen zwischen beiden Nationen.
Nach dem Rechenschaftsbericht, der dieses Jahr nicht von dem noch in Afghanistan eingesetzten „Rechnungsführer“ Oberstleutnant Jürgen Schumann, sondern von „Einsatzstabsoffizier“ Oberstleutnant a.D. Peter „Stoini“ Steiniger vorgetragen wurde, wartete das reichhaltige warme und kalte Buffett auf die hungrigen Gäste. Zwei atemberaubende Filme, die die polnischen Piloten aus dem Cockpit der MiG-29 gedreht hatten, bereiteten die Zuhörerschaft auf den Vortrag von Oberstleutnant Stobiecki vor, der im Rahmen des Air Policing Baltikum als Kommandoführer des Einsatzes „Orlik V“ im vergangenen Jahr fungiert hatte und seine Ausführungen zum Thema vom Vormittag vertiefte. 30 Mal seien die polnischen FULCRUMS 2014 aufgestiegen, um russische Flugzeuge vor der Küste abzufangen und zu identifizieren, während es beim ersten Kommando „Orlik II“ im Jahr 2008 nur einen einzigen Alarmstart gegeben hatte – deutliches Zeichen dafür, wie sich die Lage an der Ostgrenze der NATO verändert hat.
Der Austausch von Gastgeschenken – MiG-29-Modelle für die beiden polnischen Offiziere und MiG-29-Fotos für Höche und Hauser – rundeten den offiziellen Teil der Veranstaltung ab. Der inoffizielle spielte sich im Anschluss an der Hotelbar ab und zog sich wie üblich bis tief in die Nacht hin. Wobei man nicht wirklich von „sich hinziehen“ sprechen konnte bei den vielen interessanten und kurzweiligen Themen, die es unter- und miteinander zu besprechen galt. Alles nach dem Motto, mit dem auch Oberstleutnant Stobiecki seinen Gastvortrag beendet hatte: „FULCRUMS forever!“
Stefan Petersen